Zur Beschreibung der menschlichen Grundbedürfnisse gibt es unterschiedliche Ansätze. Der bekannteste ist sicher die Bedürfnispyramide von Maslow. Er geht davon aus, dass die Bedürfnisse in einer bestimmten Reihenfolge auftreten. Die Grundbedürfnisse finden sich in diesem Modell in den unteren Stufen:
- Grund- oder Existenzbedürfnisse
- Sicherheit
- Sozialbedürfnisse
Danach kommen weitere Bedürfnisse
- Anerkennung und Wertschätzung
- Selbstverwirklichung
Ob die Bedürfnisse auch in der dargestellten hierarchischen Reihenfolge auftreten, ist allerdings nicht bewiesen. Bei der Theorie der Grundbedürfnisse geht es nicht nur darum, herauszufinden, was wir wirklich wollen. Sie hilft uns auch zu verstehen, was unnötige Konflikte auslöst und warum wir uns manchmal außer Kontrolle fühlen.
Im Rahmen unseres Resilienz Trainings nutzten wird die Einteilung der Grundbedürfnisse von Professor Klaus Grawe, die im wir nachfolgend kurz beschreiben. Für eine Vertiefung des Themas haben wir am Schluss des Artikels eine Literaturliste beigefügt.
Grundbedürfnisse nach Prof. K. Grawe
Schon früh in der Geschichte der Psychologie kam die Idee auf, dass wir Menschen bestimmte Grundbedürfnisse haben, die für unser Verhalten von zentraler Bedeutung sind. Der Psychologe Klaus Grawe hat vier Grundbedürfnisse identifiziert, die für das menschliche Erleben und Verhalten von zentraler Bedeutung sind. Es handelt sich hierbei um das Bedürfnis nach
- Bindungsbedürfnis
- Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle
- Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung und Selbstwertschutz
- Bedürfnis nach Lustgewinn und Unlustvermeidung
- Hinzu kommt noch das Bedürfnis nach Konsitenz. Dieses Bedürfnis wird als Meta Bedürfnis angesehen.
Die Befriedigung unserer Grundbedürfnisse ist für unser psychisches und physisches Wohlbefinden unerlässlich. Wir fühlen uns nicht wohl oder werden krank, wenn diese Bedürfnisse über einen längeren Zeitraum nicht befriedigt werden. Das gilt sowohl für Erwachsene als auch für Kinder. Wenn unsere Grundbedürfnisse nicht befriedigt werden, sind wir anfälliger für chronische Depressionen und Krankheiten.
Grawes Theorie der Grundbedürfnisse besagt, dass wir diese vier Dimensionen unserer Bedürfnisse in irgendeiner Weise befriedigen müssen, um uns wohlzufühlen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie über einen langen Zeitraum hinweg verletzt wurden.
Das Bedürfnis nach Bindung
Unser Bedürfnis nach Bindung kann durch die Beziehungen, die wir zu unseren Liebespartnern, Familienmitgliedern und sogar guten Freunden haben, befriedigt werden. Die Befriedigung dieses Bedürfnisses bedeutet, dass wir uns in der Abhängigkeit von anderen wohlfühlen und dass wir in der Lage sind, gesunde Beziehungen des gegenseitigen Vertrauens aufzubauen.
Bindung sichert dem Säugling das Leben und ist eines der elementarsten Bedürfnisse. Durch die Erfahrung, dass jemand da ist, der schnell und adäquat auf die Bedürfnisse des Säuglings eingeht, kann Vertrauen in die andere Person entwickelt werden. Die allerersten Bindungserfahrungen prägen die spätere Beziehungsgestaltung des Kindes. Es wird ein Modell erworben, wie Beziehungen funktionieren. Ist er oder sie freundlich zu mir? Ist es möglich, angenehme Beziehungen zu erleben?
Bindungserfahrungen
Im späteren Leben sind Bindungserfahrungen unerlässlich. Wir alle haben ein Bedürfnis nach Bindung, weil wir Naturwesen sind. Zu Beginn ist das Bedürfnis nach Bindung vor allem bei Erwachsenen oder älteren Menschen vorhanden. Während das Interesse an Gleichaltrigen bereits vorhanden ist, wollen Kinder erst im Alter von drei Jahren wirklich miteinander interagieren. Die älteren Kinder sind ihren Altersgenossen wichtiger. Bindungs- und Beziehungserfahrungen verändern sich.
Das Bedürfnis nach Bindung weist Merkmale auf wie die Fähigkeit, Einfühlungsvermögen, Unterstützung und Sicherheit zu bieten, indem man verständnisvoll, verlässlich und nachsichtig ist und so eine sichere Basis bietet, die das Eingehen von Risiken ermöglicht.
Das Bedürfnis nach Kontrolle und Autonomie
Wir alle haben von Geburt an das Bedürfnis nach Kontrolle. Wir alle brauchen ein unterschiedliches Maß an Kontrolle. Manche Babys scheinen sich nur dann gut zu entwickeln, wenn sie eine sehr klare Struktur und Regelmäßigkeit in ihrem Alltag haben, für andere ist das weniger wichtig. Alle motorischen Entwicklungsschritte können als „Kontrolle und Autonomie“ in der Entwicklung von Kindern eingestuft werden. Babys beginnen sich zu bewegen, weil sie einen inneren Antrieb haben.
Kontrolle ist wichtig, um die eigenen Ziele zu erreichen und aufrechtzuerhalten. Der Aspekt der Kompetenz bezieht sich auf die geistige Aktivität. Es ist ein schwerwiegender Verstoß gegen das Grundbedürfnis nach Kontrolle, wenn man etwas nicht im Sinne der eigenen Ziele steuern kann.
Unser Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle kann durch die Entwicklung unserer Fähigkeiten und Talente erfüllt werden. Dies kann sich in einer befriedigenden oder anspruchsvollen Arbeit äußern, aber auch in anderen Tätigkeiten, die uns mit Gefühlen von Erfolg, Leistung und Fortschritt belohnen.
Orientierung und Kontrolle im Alltag
Im Alltag lassen sich viele verschiedene Dimensionen des Wunsches nach Orientierung und Kontrolle beobachten. Zum Beispiel wollen wir die Welt um uns herum verstehen und beeinflussen, um uns sicher zu fühlen und unsere Pläne zu verwirklichen. Wir wollen auch, dass unser eigenes Verhalten von anderen verstanden und akzeptiert wird. Wenn das Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle über einen längeren Zeitraum nicht oder nur unzureichend befriedigt wird, kann dies sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern zu verschiedenen Symptomen und Störungen führen.
Kontrolle und Autonomie stehen im Zusammenhang mit Selbstwert und Selbstwirksamkeit. Wenn man in der Lage ist, etwas selbst zu tun, fühlt man sich gut, stark und stolz. Es ist möglich, Dinge zu lernen, wenn man selbst erlebt, was man kann, wo man nicht kann und wo es noch etwas zu lernen gibt.
Das Bedürfnis nach Selbstwert
„Die Menschen wollen sich selbst gut fühlen. Sie wollen glauben, dass sie kompetent und würdig sind und von anderen geliebt werden. Dieser Wunsch nach Selbstverbesserung wird als so grundlegend für das Funktionieren des Menschen angesehen, dass er als das „Meistergefühl“ bezeichnet wurde.“ (William McDougall)
Der Wunsch, als gut wahrgenommen zu werden, ist ein Grundbedürfnis, das jeder Mensch in sich trägt. Wir wollen uns ihm annähern und unseren Selbstwert steigern, aber gleichzeitig wollen wir Selbstwertverletzungen vermeiden. Die Entwicklung des Selbstwertgefühls ist mit dem Bedürfnis nach Bindung verbunden. Wenn wir umsorgt werden, prägt unsere erste Bindungserfahrung unseren Selbstwert.
Das Bedürfnis nach Selbstwertgefühl wird dadurch befriedigt, dass die Eltern den Wert des Kindes kennen. Ständige Kritik, Abwertungen und Beleidigungen frustrieren dieses Bedürfnis. Wir Erwachsenen sind den Kindern insofern ähnlich, als wir in einer Beziehung sein wollen, die nicht von Abwertung und Kritik geprägt ist.
Unser Wert wird von unserer Umgebung geprägt. Wir vergleichen uns, um herauszufinden, wie viel Wert wir haben. Studien zeigen, dass Menschen, die gesund sind, mit Erfahrungen umgehen, die überdurchschnittlich sind
Bedürfnis nach Lustgewinn und Unlustvermeidung
Einer der wichtigsten Grundsätze in unserem Leben ist der Umgang mit Freude und Unlust. Wir alle wollen Spaß haben, aber wir wollen auch negative Gefühle wie Angst, Schmerz, Enttäuschung oder Verletzung vermeiden. Das erfährst du im Umgang mit den anderen Teilen des Lebens.
Dazu gehört auch die Frage der Frustrationstoleranz. Es geht darum, unangenehme Gefühle und Situationen aushalten zu können. Es ist manchmal notwendig, einen Mangel an Freude zu ertragen, damit man angenehme Erfahrungen machen kann. Wir wissen, dass wir manchmal viel Motivation und Disziplin brauchen, bis wir unser Ziel erreichen. Manchmal müssen wir ganz von vorne anfangen, denn es gibt immer wieder Hindernisse auf unserem Weg.
Die Befriedigung dieses menschlichen Grundbedürfnisses ermöglicht es uns, ein Gefühl des Wohlbefindens zu erleben und gleichzeitig unsere Impulse zu kontrollieren, um produktiver und zielorientierter zu werden.
Wenn dieses Bedürfnis langfristig nicht befriedigt wird, sind Menschen besonders gefährdet, süchtig zu werden, z. B. durch zwanghaftes Essen und zwanghaftes Spielen sowie durch andere Verhaltensweisen, die kurzfristig Erleichterung verschaffen, aber letztlich zu Leiden führen.
Literatur zum Thema Grundbedürfnisse
Die wesentlichen Gedanken zu diesem Artikel wurden den Büchern von Klaus Grawe entnommen und verkürzt dargestellt.
- Borg-Laufs, M. (2012). Die Befriedigung psychischer Grundbedürfnisse als Weg und Ziel der Kinder- und Jugendpsychotherapie. Forum für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (S. 6-19).
- Grawe, K. (2002). Psychologische Therapie. Göttingen: Hogrefe.
- Grawe, K. (2004). Neuropsychotherapie. Göttingen: Hogrefe.
- Rotters, J. B. (1966), General expectancies for internal vs. External control of reinforcement. Psychological Monographs, 80.
- Seligman, M. E. & Maier, S. F. (1967). Failure to escape traumatic shock. Journal of Experimental Psychology, 74, 1-9.